Hometown Shanghai (in German) | |
Geburtsort und Name spielen im Leben eines jeden Menschen eine besondere Rolle. Ich meine, dass sie sogar eine Art Stempel sind, der Familienname ein Erkennungszeichen sein kann und bei den meisten Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl verursacht. So ist der eine glücklich mit seinem Vor- oder Zunamen und trägt ihn voller Stolz, ein anderer entschuldigt sich eventuell dafür, dass nicht er/sie, sondern die Eltern ihn ausgewählt hätten, versucht ihn abzukürzen, aus irgendwelchen Gründen zu ändern, ihn gar loszuwerden und dgl. mehr.
In Deutschland führten die Juden bis zum Jahre 1808 nur ihre Vornamen, denen der Name des Vaters angehängt wurde. Einer unserer frühen Vorfahren hieß 1790 Salomon Joel, ein anderer, 1799 geborener, Elias Levy, aber 1808 wurde innerhalb von nur 3 Monaten der Artikel 15 eines Dekrets vom 31. März, der eine neue Namensgebung beinhaltete, durchgesetzt. Jeder musste dem bereits bekannten, einen Beinamen hinzufügen. Wer sich weigerte, bekam von den preußischen Beamten einen lächerlichen oder entehrenden Namen zugewiesen.
Mein Familienname gefiel mir seit ich gelernt hatte ihn zu buchstabieren, denn wenn meine Eltern in Shanghai etwas Geld übrig hatten, durfte ich die Straße (Washing/Ecke Ward Rd.) überqueren und in einen kleinen Laden gehen, um eine Unze (1 oz. ca. 8 g.) Leberwurst für unser damals ziemlich kärgliches Abendessen zu kaufen. Ich weiß noch wie heute, dass ich nicht über den Ladentisch gucken konnte, aber immer wenn ich kam, das gleiche Ritual ablief: “Wie heißt du denn“, worauf auch ich immer den gleichen Spruch loswerden wollte: „Sonja Krips, K-R-I-P-S.“ Warum ich meinen Namen buchstabierte, lag vielleicht daran, dass ich erfahren hatte, dass man den Namen falsch schrieb oder wollten meine Eltern mir den Namen so fest ins Gehirn einbrennen, weil sie während der Nazizeit in Deutschland zu einer Nummer, einem Nichts gemacht wurden?
Bei meinem Vornamen Sonja habe ich später in Deutschland oft meine Freunde und Kollegen korrigiert, die die deutsche Aussprache benutzten und nicht das „scharfe S“ wie ich es für richtig hielt, denn Sonja wäre doch kein typisch deutscher Name, erklärte ich dann immer. Was hat es mit dem typisch deutschen Namen auf sich und weshalb habe ich nachgeplappert, was mein Vater mir von den Beamten des Deutschen Generalkonsulats in Shanghai berichtete, die ihm im Oktober 1939 eine seit dem 18. August 1938 gültige Liste vorlegten, die die für die jüdischen Kinder in Deutschland vorgeschriebenen Vornamen enthielt und ihm zeigten, dass Sonja in dieser Liste nicht vorkommt. Mein Vater ließ sich glücklicherweise nicht überreden und so kam es, dass ich 3 Monate lang offiziell „Baby“ hieß und erst im Dezember vom „Public Health Department des Shanghai Municipal Council“ meinen Namen und einen Stempel bekam, weshalb mein Vater mir immer sagte: „Sonja, wenn du ‚mal Schwierigkeiten haben solltest, nach Shanghai kannst du immer, denn dort bist du registriert.“
Daran habe ich lange geglaubt,
aber als ich mir vor einigen Jahren die Geburtsurkunde meines im März
1945 in Shanghai geborenen Bruders Peter genauer anschaute, bemerkte
ich, dass dort die englischen Schriftzeichen dunkelblau und weder
Stempel noch Registriernummer vorhanden waren und, dass mein Vater mit
seiner Handschrift die Rückseite des „Medical Certificate of Birth“
beschriftet hatte, was mir zu denken gab. Ja, wir waren damals mitten im
Krieg, lebten im Ghetto von Hongkew, auch dieses wurde bombardiert und
wer war in dieser Zeit offiziell für die Registrierung der Geburten
zuständig? Unser Vater hätte eventuell stundenlang vor der japanischen
Polizeistation (Dee Lay Jao Police District) wegen eines
Ausgangsstempels anstehen müssen, nicht wissend, ob er ihn bekommen
hätte. In Peter’s Geburtsurkunde hat man im Ward Road Hospital bei Nationality „former German“ eingetragen, bei mir steht „German“, bei Baby Ehrlich, der nur 17 Tage vor mir geboren wurde, streicht es der gleiche Arzt durch, um es durch Stateless zu ersetzen. Vater Ehrlich scheint dann nicht, wie vom Krankenhauspersonal aufgefordert, beim Deutschen Generalkonsulat vorgesprochen zu haben, um die Geburt seines Sohnes anzumelden, denn knapp 2 Wochen später wird vom Public Health Department des Shanghai Municipal Council der Name Tommy (TOMMY) eingetragen und man spürt fast, wie sich der Registrar R. C. Lent freute, da er den Namen gleich noch einmal mit Großbuchstaben in Klammern setzte.
Anfang November 1939 wird Ruth Baruch’s Bruder im Sainte-Marie Hospital in Shanghai geboren. Im Deutschen Generalkonsulat wird Isaak 5 Monate später im Familien-Stammbuch der Eltern unter der Nummer 20 registriert. Der Name Isaak erregte scheinbar bei dem deutschen Standesbeamten kein Aufsehen, obwohl er im Verzeichnis der jüdischen Vornamen, unter den männlich zugelassenen, mit einem c geschrieben wird – also Isaac? Während meine Mutter mir oft erzählte, dass sie es mir zu verdanken hätte, dass sie vor der Abfahrt zu meiner Geburt ins Country Hospital im Chaofoong Heim als Extra-Portion eine Marmeladenstulle bekam und die Geburt von einem Hilfskomittee bezahlt wurde, wurde die Beschneidungszeremonie von Isaak Baruch und Jacob Will durch die sephardische Familie Abraham ausgerichtet.
Yvonne Adler’s Vater hat sich 3 Monate nach der Geburt seiner Tochter, im Dezember 1940, zum Deutschen Generalkonsulat begeben. In der dort ausgestellten Geburtsurkunde erhält sie den Vornamen Sara, ihre Mutter wird als „auch früher deutsche Staatsangehörige“ bezeichnet. Die daran geknüpften Erörterungen einer besonderen Verhandlung werden vom beauftragten Konsulatssekretär Erster Klasse extra vermerkt. Yvonne durfte sie als jüdisches Mädchen nicht heißen! Die Verpflichtung für deutsche Juden, ab 1939 die Zusatznamen Sara oder Israel zu führen, ergab sich aus der „Zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen“ vom 17. Aug. 1938 mit den entsprechenden Richtlinien vom 18. August 1938,
Bei Manfred Worm wird im Juni 1940 im Ward Road Hospital Germany durchgestrichen und mit Without Nationality korrigiert. Manfred wird ein ganzes Jahr später im Public Health Department des Shanghai Municipal Council registriert, hat nun also auch einen Stempel mit den chinesischen Schriftzeichen auf der Rückseite der Geburtsurkunde wie ich. Vor einigen Jahren habe ich im Shanghaier Stadtarchiv nachgefragt, ob es Unterlagen über die Registrierungen von Geburten gibt, aber noch habe ich keine Antwort erhalten. Ich habe bisher sehr schöne bunte Hochzeitsurkunden gesehen. Es gibt auch Scheidungsurkunden. Wir haben eine Sterbeliste. Gibt es Sterbeurkunden? Seit ich die Geburtsurkunde von Noemi Strauss in den Händen hatte, die fast identisch mit der meinigen ist, weiß ich, dass es während unseres Exils in Shanghai Registrierungen an unterschiedlichen Orten gegeben hat. Die Registriernummer 33/40 und einen Stempel der „Community of Central European Jews“ auf der Rückseite, sagt aus, dass Noemi im Jahre 1940 sicher das 33. Baby war, das von der jüdischen Gemeinde Shanghai’s registriert wurde. Für Noemi’s 1944 geborene Schwester Dagmar erhielten die Eltern Strauss von der Jüdischen Gemeinde in Shanghai ein DIN A4-Blatt als „Certificate of Birth“ mit der Registriernummer 230/44. Wurden in diesem Jahr 230 Kinder geboren oder fing man an, sie zusammen zu zählen, die tschechischen, ungarischen, russischen oder polnischen Neugeborenen und wo wurden die vielen indischen Kinder registriert, wenn doch auf diesem Papier steht: .....and has been announced to the S. S. M.(Public Health Department). Ich habe in der Liste der 1944 in Hongkew lebenden Ausländer etwa 50 Fünfjährige gezählt, davon sind allein 15 indische Kinder und diese Liste ist nicht vollständig. In all’ den Pässen der heute 65-Jährigen wird mit Sicherheit als Geburtsort Shanghai stehen und bei denen, die nach uns geboren wurden, ebenfalls.
Bis November 1941 waren Flüchtlinge in Shanghai mit einem deutschen Reisepass immer noch Bürger des Deutschen Reiches, obwohl bereits am 15. Sept. 1935 durch die in Nürnberg beschlossenen Gesetze, das „Reichsbürgergesetz“ und das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ auch jüdischen Bürgern alle Bürger- und Menschenrechte entzogen worden waren. Ab 25. Nov. 1941 galten dann alle von der rassistischen NS-Politik Vertriebenen als Stateless, da es in der 11. Durchführungsverordnung zum Reichsbürgergesetz hieß, dass nun auch denen die deutsche Staatsangehörigkeit bei „Übersiedlung“ über die Grenze entzogen wird, was auch auf die bereits früher Ausgewanderten zutraf.
Ich habe mir einige Geburtsurkunden angeschaut und man kann darin lesen wie in einem Buch: Die Urkunden von Catherine Ruth Neumann und Henny Gitta Gothelf, die 1946 und 1947, beide im Ward Road Hospital geboren wurden, sind besonders schön. Das Papier ist durchscheinend, rosa, über die englischen Bezeichnungen sind nun chinesische Zeichen gesetzt, alles in roter Schrift. Haben die damals geborenen Jungen eine blaue? Es gibt wieder einen Stempel auf der Rückseite, diesmal vom „Public Health Bureau des Shanghai Special Municipality“, aber bei Gitta, die inzwischen in Deutschland lebt, steht bei Province of Origin, obwohl schon 2 Jahre nach dem Potsdamer Abkommen, Stateless. Wer gibt uns Kindern unsere Nationalität bzw. Staatsangehörigkeit zurück?
Am 22. Dezember 1939 wurde in „The Shanghai Evening Post“ ein Artikel veröffentlicht: „Babies Increasing – Ranks Of Emigrees“, in dem berichtet wird, dass ein halbes Jahr zuvor, die Geburt eines Emigrantenkindes noch selten und eine Sensation war. Ich nehme an, dass damit die Geburt meiner Freundin Doris Kasswan im Juni 1939 gemeint war, deren Eltern aus Deutschland nach Shanghai flüchten konnten und somit nicht nur sich selbst retteten. Doris und auch Jeanette Izbicki, die im chinesischen Viertel lebte, besitzen keine Geburtsurkunden, aber auch sie mussten später wie ich auch immer wieder geduldig erklären, warum wir in Shanghai, so weit weg von der Heimat unserer Eltern geboren wurden und manchen ging es eventuell so ähnlich wie meinem Bruder Peter, der 16-jährig mit seinem Motorrad versehentlich in eine Einbahnstraße fuhr, von einem Polizisten angehalten, seinen Führerschein zeigen musste und der Polizist ihn ohne Strafzettel mit der Bemerkung weiterfahren ließ: „Ach, du bist in Shanghai (China) geboren, da kannst du es ja auch nicht wissen.“
Sonja Mühlberger
|