Bericht
über das Seminar in Shanghai
von
Sonja Muehlberger
Mein Mann wollte mich allein auf die Reise schicken,
mittags hatte ich bereits den Konferenzablauf auf meinem
Computer und in den folgenden 3 Wochen bis zur Abreise
am 8. November waren alle Formalitäten und Probleme
gelöst und auch meine Rede, die ich in Englisch halten
sollte, nicht nur auf dem Papier, sondern in meinem Kopf.
Die passenden Fotos und Materialien hatte ich auf dem
Memorystick und zur Sicherheit auch auf einer CD
gespeichert – da sollte dann nichts mehr schief gehen.
Es waren
großartige, unvergessliche 13 Tage in meiner
Geburtsstadt Shanghai, wo ich im Oktober 1939 als Kind
jüdischer Flüchtlinge auf die Welt kam. Seit unserer
Abreise aus Shanghai im Juli 1947 hatte ich das Glück,
schon zweimal in diese faszinierende und sich ständig
erneuernde Stadt eingeladen zu werden, 1989 für ein
erstes chinesisches Dokumentarfilmprojekt zum Thema Exil
in Shanghai:„Sanctuary Shanghai" sowie „Escape to
Shanghai" und nun zu einem Internationalen Seminar
„Jewish Refugees in Shanghai" mit einer
Ausstellungseröffnung, einer Buchpräsentation, einem
Treffen mit ehemaligen chinesischen Nachbarn in Hongkew
und einem umfangreichen zusätzlichem
Besichtigungsprogramm.
Am 10.
November fand die Eröffnungszeremonie statt. Ja, es war
eine Zeremonie mit vielen geladenen Gästen. Reden und
Dankesworte in Chinesisch und Englisch und umgekehrt
wurden gehalten. Auf der festlich geschmückten Bühne in
warmer Novembersonne standen nicht nur die höchsten
Vertreter des Staats- und Parteiapparates von Shanghai,
sondern auch der israelische Botschafter, der
israelische und amerikanische Generalkonsul, Prof. W.
Michael Blumenthal als Direktor des Berliner Jüdischen
Museums, der, wie auch René Willdorff mit seinen Eltern
während der Naziherrschaft Zuflucht in Shanghai gefunden
hatte. Wir erhielten kleine Sträußchen duftender
Orchideen ans Revers gesteckt und ich hatte wegen der
vielen blitzenden Kameras, der überall freundlich
dreinschauenden und feierlich gekleideten Menschen, die
sich auch vor der Bühne auf einem Platz vor der
ehemaligen Ohel Rachel Synagoge versammelt hatten nur
einen Augenblick Zeit daran zu denken, dass der Beginn
dieses November-Events, wie Prof. Pan Guang das Email
überschrieben hatte, von der chinesischen und auch
israelischen Seite bewusst gewählt wurde: In der Nacht
des 9. zum 10. November 1938 fand in Deutschland ein
Progrom, die sogenannte „Kristallnacht", statt. Auch
mein Vater und etliche meiner Familienangehörigen wurden
danach in die Konzentrationslager verschleppt und nicht
nur für meine Eltern war Shanghai die Rettung und das
letzte offene Tor, das sie Ende April 1939 erreichen
konnten.
Das schöne
alte Gebäude der Ohel Rachel Synagoge, das lange Jahre
als Bibliothek, seit einigen Jahren Staatsgästen und zu
den hohen jüdischen Feiertagen der in Shanghai
ansässigen jüdischen Gemeinde vorbehalten war, hatte ich
vorher noch nicht gesehen und war gespannt wie man es
für die Ausstellung hergerichtet hat. Neben mir stand
der deutsche Generalkonsul von Shanghai und hinter mir
Rabbi Greenberg, dem ich auch vor Freude die Hand
reichen wollte. Er hat dies mit einer sehr geschickten
Bewegung an seine weibliche Nachbarin weitergeleitet.
Ich hatte natürlich nicht bedacht, dass man als Frau
einem orthodoxen Rabbiner nicht die Hand schütteln darf.
Warum eigentlich nicht?
Ansonsten
ging alles sehr unorthodox zu: Wir waren in einem
modernen 27-stöckigen 4-Sterne-Hotel untergebracht, das
auf dem Gelände der ehemaligen deutschen
Kaiser-Wilhelm-Schule errichtet worden war, erzählte mir
Dr. Astrid Freyeisen, die seit dem 1. November 2005 als
ARD-Korrespondentin in Shanghai arbeitet und die
Gelegenheit nutzte, am Eröffnungstag dabei zu sein und
ihren Bericht noch am gleichen Tage nach Deutschland
senden konnte. In diesem Hotel fand dann auch am
folgenden Tag, einem Freitag, das Internationale Seminar
statt. Ich war angenehm überrascht von der
phantastischen Ausstattung des Konferenzraumes, den
dicken Teppichen, dem schönem Mobiliar, der
ausgezeichneten Beleuchtung und den vielen Blumen, die
eine angenehme Atmosphäre verbreiteten. Es kam mir vor,
als hätte man auch wirklich an alles gedacht: die
Technik, die Beschriftung, die Namensschilder, die
umgestellt wurden, wenn eine/r von den Rednern bzw.
Kommentatoren vor einem anderen Mikrofon Platz nehmen
sollte, die Pünktlichkeit, mit der alles ablief und auch
die meist sehr qualitativ gehaltenen Vorträge und
Diskussionsbeiträge. Soweit das für mich sichtbar war,
waren Vertreter aus vielen Universitäten des Landes
anwesend.
Etliche
Professoren hatten bzw. beschäftigen sich inzwischen mit
dem Thema „Juden in China", so dass es auch ab und an zu
einem anregenden Gesprächsaustausch in den kurzen Pausen
und bei einem Arbeitsessen kam.
Die
Ausstellung, die unter dem biblischen Namen „Jewish
Refugees in Shanghai - Noah’s Ark on Fire and Sword"
stand, wird, so meinte der israelische Botschafter, am
27. Januar zum Holocaust-Gedenktag, in Peking eröffnet
werden. In der Ausstellung, die ich einige Tage später
noch einmal zusammen mit Tess Johnston, Dr. Astrid
Freyeisen und Frank Hollmann vom Bayrischen Rundfunk,
Würzburg, besuchte, fand ich u. a. die Abbildung unseres
Kataloges „Leben im Wartesaal" und ein Foto des Seminars
aus dem Haus der Wannseekonferenz vom Aug. 1997, aber
auch Günter Nobel’s Porträt, Harry Jorysz als Kind mit
einem chinesischen Jungen oder im Gespräch mit Pan Guang
waren u. a. auf den großflächigen Bildern zu sehen. Über
einen Bildschirm lief der Dokumentarfilm „Fleeing to
Shanghai", in den auch viele Bilder und Scenen
eingeflossen sind, die ein Shanghaier TV-Team im Sommer
1997 während unserer Aktivitäten im Berliner Gropiusbau,
aber auch bei den Konicki’s oder auch den Worm’s in
Bayern gedreht hatte. Den Direktor dieses Filmteams, der
uns noch immer eine Kassette dieser Aufnahmen schuldet,
traf ich auf dem Flur vor dem Konferenzraum. Er war sehr
verwundert, dass ich ihn erkannte und als ich ihn
umarmte, wunderten sich sicher etliche andere. Auch
dieses Kamerateam begleitete uns nicht nur im Museum,
sondern auch bei all’ den weiteren Besuchen von alten
und auch neuen interessanten Orten in und um Shanghai.
Ich hatte
leider nicht die Gelegenheit, im Swimmingpool des Hotels
zu baden, da wir Vier, d. h. René Willdorff, ein
ehemaliger Berliner, heute in den USA lebend nicht nur
als Webmaster der www.rickshaw.org und Vorsitzender des
Reunion-Committees, sondern auch die in Berlin geborene,
heute in Israel und darüber hinaus bekannte Künstlerin
Ruth Shany, der Mikrobiologe Karl Bettelheim und ich als
Ehrengäste der Stadt Shanghai ständig von Journalisten
und Kameraleuten begleitet und umlagert wurden, Rede und
Antwort geben mussten, in den ersten Tagen auch bis in
die späten Abendstunden. In den Shanghaier Zeitungen
erschienen unsere Bilder und die englischsprachigen
„Shanghai Daily", „China Daily" oder „Shanghai Star"
konnten wir natürlich lesen, aber die chinesischen
Schriftzeichen der übrigen Artikel blieben und bleiben
uns weiterhin ein Rätsel.
In der
kurzen Zeit, die wir uns für das Frühstück im Hotel
nahmen, saßen wir zusammen, sprachen Deutsch bis Manli
Ho, die Tochter des ehemaligen chinesischen
Generalkonsuls Dr. Ho Feng Shan, der in Wien Visa für
ausreisewillige Juden ausgestellt und daher viele
Menschenleben gerettet hatte, sich zu uns setzte. Dann
ging es nämlich auf Englisch weiter.
Den
Veranstaltern, von denen ich nur die 4 Co-Sponsoren:
Das
Information Office und Foreign Affairs Office der Stadt
Shanghai, die Stadtverwaltung von Hongkou und natürlich
das Center of Jewish Studies Shanghai, nicht aber die
vielen freundlichen Helfer nennen kann, gebührt ein
besonderer Dank. Sie bedachten uns nicht nur mit
rührender und freundlicher Aufmerksamkeit. Sie
beschenkten uns auch noch mit Büchern und Postkarten,
mit einer Briefmarken-Sonderausgabe, die eigens zu
diesem November-Event herausgegeben wurde, mit einem
Kasten voller exotischer Teesorten und einer mit unserem
Vor- und Zunamen in alter Tradition gebrannten Teetasse,
um nur einiges zu nennen. Immer waren sie bei und um
uns, bei den Busfahrten nach Pudong, auf dem
Fernsehturm, in den Museen, in der Altstadt. Wohin auch
immer wir gingen oder fuhren, war auch eine Ärztin und
eine Krankenschwester dabei, die dann den schweren
Koffer mit den Arztutensilien für „alle Fälle" trug,
wenn ihn nicht einer der Journalisten ihn ihr abnahm. Zu
unserem Glück gab es nur wenig Anlass, den Koffer zu
öffnen, aber wir fühlten uns dadurch mehr als sicher und
ich hatte so viel Fürsorge noch bei keiner anderen Reise
verspürt.
Wir wurden
nicht nur zu den alten und neuen Sehenswürdigkeiten der
Stadt gefahren, sondern auch in immer neue Restaurants
geführt, wo wir an großen, runden, reich gedeckten
Tischen, meist zusammen mit den chinesischen Begleitern
des Institutes, Persönlichkeiten der Stadt, an einem
Abend auch mit Michael Blumenthal, essen und plaudern
konnten. Ich meinte zwar, dass ich doch recht geschickt
mit den Stäbchen umgehen kann, aber meine Kleidung hatte
bald ‚mal hier und da einen Fleck bis ich merkte, dass
man in allen Restaurants, die wir besuchten, einen
Zipfel der immer frisch-gestärkten Stoffservietten unter
den Teller klemmt und den gegenüberliegenden irgendwie
unter dem Kinn anbringt. Ich musste mir daher unbedingt
einen Pulli oder eine Bluse kaufen, obwohl mir einer der
Fernsehjournalisten versprach, dass man so einen Fleck
nicht auf dem Bild erkennen würde und notfalls könnte
man einen Lichtpunkt darauf setzen, was für mich nicht
sehr überzeugend klang.
Zusammen
mit Manli Ho fuhr ich mit einem Taxi, die nach wie vor
sehr wenig Geld kosten, in die ehemalige chinesische
Altstadt, wo man sich quasi von heute auf morgen
wunderschöne Kleidung anfertigen lassen kann. Während
Manli in ihrer chinesischen Muttersprache mit dem
Schneider verhandelte, war ich wie geblendet von den
vielen herrlichen chinesischen Seiden- und Brokatstoffen
in dem kleinen, zur Straße offenen, engen Raum und hätte
am liebsten lange dort verweilt, um über die Stoffballen
zu streichen, sie mir näher betrachten zu können. Es
fiel mir nicht leicht, mich zu entscheiden, aber nun
habe ich auch zwei für mich angefertigte chinesische
Jacken wie ich sie mir schon lange gewünscht hatte, aber
in Berlin gibt es bisher kein „Chinatown", was Cherry,
eine unserer „guten Seelen" in Shanghai sehr verwundert
hat. In diese Straße bin ich noch 2 mal gefahren, habe
in einem großen Markt voller fabrikneuer Stoffe aller
Art Seide, eine Wattejacke und einige typisch
chinesische Kleinigkeiten gekauft. Ich habe nicht nur
dort festgestellt, dass sich besonders die Chinesinnen
wieder traditionell kleiden, was mir sehr gut gefällt,
da ich es für eine Art von gesundem Nationalstolz halte.
Meine
Kamera hatte ich immer bei mir und habe, wo immer dies
möglich und nicht aufdringlich war, festgehalten, was
mich auch bei dieser 2. Reise beeindruckt hat und das
ist natürlich nicht nur das saubere Stadtbild, die
phantastischen und abwechslungsreichen Gebäude, der
enorme Autoverkehr zu allen Tages- und Nachtzeiten auf
den Straßen oder die gepflegten Bäume, Blumen und
Sträucher, die modisch gekleideten Menschen oder die
Trinkflasche, die die Taxifahrer neben ihren Sitz
klemmen und die mit einem undefinierbaren Wasser gefüllt
sind, sondern auch die farbigen Bilder von einer
einzigartig erleuchteten Stadt Shanghai, die man bei
einer Kreuzfahrt auf dem Huangpu-Fluß zu sehen bekommt.
Natürlich
habe ich auch Xu Buzeng, einen klugen Wissenschaftler
und Kenner besonders der kulturellen Szene der Juden in
Shanghai der Jahre 1938 - 1949 und seine Frau
fotografiert, die uns im Hotel besuchten. Ich habe
etliche seiner interessanten Arbeiten gelesen und wir
kommunizieren schon lange per Email.
Für 2 Tage
bin ich allein mit der Eisenbahn nach Hangzhou gefahren,
um auch einmal eine andere chinesische Stadt
kennenzulernen.
Die
letzten 4 Tage meines Aufenthaltes in Shanghai konnte
ich bei meiner amerikanischen Freundin Tess Johnston
verbringen, die mich zu einer Ausstellungseröffnung und
ins Theater zu einer Aufführung von „Swan Lake"
(Schwanensee) mitnahm, was mich wahrlich begeisterte, da
ich so großartige chinesische Tänzer, die gleichzeitig
Akrobaten waren, noch nicht gesehen hatte.
Dvir
Bar-Gal besuchte mich bei Tess. Er ist eigentlich ein
israelischer Photojournalist, lebt seit einigen Jahren
in Shanghai und hat sich sehr verdient gemacht, indem er
verlorengegangene Grabsteine in der Umgebung Shanghais
fand, die einst auf den 4 jüdischen bzw. dem
internationalen Friedhof standen und die er nun in einer
einzigartigen Ausstellung zeigt.
Am letzten
Tag meines Aufenthaltes erhielt ich plötzlich einen
Anruf meiner Freundin Dr. phil. Choou-Huey Chang,
Leiterin des „German Department" eines Sprachinstituts
in Taiwan, die das erste Mal nach Shanghai kam, um an
einer internationalen Konferenz teilzunehmen. Sie hat in
Trier Judaistik studiert und nahm im Sommer 1997 an
unserem Seminar im Haus der Wannseekonferenz teil, wo
wir uns kennengelernt haben. Ich traf sie später noch in
Wuppertal und auch im Berliner Jüdischen Museum, aber
nun hatten wir uns lange nicht mehr gesehen, weshalb die
Freude umso größer war. Pan Guang hatte ihr mitgeteilt,
dass ich auch in Shanghai wäre.
Am 9.
November 2005 war ich erstmals auf dem modernen neuen
Flughafen auf Pudong angekommen und wurde mit einem
Namensschild von einer jungen Frau Zhang Yinan und einem
Chauffeur erwartet. Zhang, die sich mit ihrem
hebräischen Namen Eiala vorstellte und mich während
meines Aufenthaltes liebevoll betreute, spricht
Hebräisch und Englisch, studiert und arbeitet im Center
of Jewish Studies Shanghai. Am 21. November wurde ich
von Cherry Wang und einem Chauffeur abgeholt und zum
Flugplatz gebracht. Cherry schaffte es nicht nur, mir
den letzten Fensterplatz zu organisieren, sondern sie
war verantwortlich für die Flugtickets, unsere
Unterbringung, überhaupt für fast alles, was an
organisatorischen Dingen für unsere Reise, auch meine
Kurzreise nach Hangzhou, nötig und notwendig war und sie
hat auch die Restaurants ausgesucht, uns begleitet, wann
immer sie konnte. Ich weiß nicht, wie diese junge Frau
von 23 Jahren das alles geschafft hat, ohne ihr
Mobiltelefon wahrscheinlich nicht, aber sie ist
bewundernswert und ich bin froh, sie getroffen zu haben
wie auch etliche andere.
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